Genau hier ließ 3E sich nieder. Der Tisch hatte eine Oberfläche aus rötlich-braunem Palisander Holz. Das Holz war leicht warm vom Sonnenschein. Der Leder bezogene Stuhl machte seine Ledergeräusche als er sich setzte und seine Unterlagen aus der Tasche zu holen begann. Laute Stimmen füllten die mächtige Halle.
Geschäftig liefen Paare von Kollegen und Robotern durch die Gänge zwischen den Tischen entlang, rempelten an Stühle. Papiere fielen zu Boden, wurden aufgehoben, jemandem auf den Tisch geworfen. Wie ein lebendig gewordenes Wesen umgab einen hier das Atmen der großen Maschinerie, der Informations-Gewinnung. Einer der höchsten Abteilungen innerhalb des Kopernikuszentrums für rechtschaffende Arbeit. Nichts war wertvoller als Informationen. Der Lärm glich dem der damaligen Aktion-Büros, wo sich jeder über jeden warf, nur um mit dem bestzahlensdem Kunden zu reden.
Seine Familie und Nachbarn erzähltem ihm ständig wie sehr sie ihn doch beneideten, das er hier arbeiten durfte. Früher hatte er das genauso so empfunden. Aber nach 7 Jahren machte sich ein anderes Gefühl bei ihm bemerkbar. Ein Gefühl der Verdrängung vielleicht?
Der Dienst Roboter stand still neben seinem Schreibtisch und starrte unbestimmt in die Ferne. 3E war sich bei diesen Dingern immer etwas unsicher ob sie aufzeichneten was er tat oder einfach nur so teilnahmslos waren wie sie aussahen. Er schob den Papierstapel auf seinem Schreibtisch, der schon seit gestern da lag, an die Seite. Das Papier raschelte und ein paar Seiten entkamen aus dem Haufen und blieben verteilt auf der Tischoberfläche liegen. Mit einer fahrigen Geste klaubte er die Blätter zusammen und warf diese mit auf den Stapel.
Die Unterlagen aus seiner Tasche fanden nun ihren Platz auf dem Tisch, eine speckige Aktenmappe in Mausgrau. Dazu seine Pausenmahlzeit. Das Butterbrotpapier knisterte. Ein plötzliches Surren. 3E schreckte auf und blickte links neben sich. Der Dienst-Robotor hatte seinen Kopf gedreht und zur Seite geschaut, nur um direkt danach wieder in seiner vorherigen Position weiter zu verharren.
“ 4Æ… Hör auf mit diesem Quatsch!”, murmelte er entrüstet, während er probierte seinen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen. Der Pulsmesser, der in der Hölzernen Tischoberfläche eingelassen war, zeigte eine verrückt aufhüpfende Kurve. Gesund war diese Schreckhaftigkeit bestimmt nicht, dachte er sich.
“4Æ , geh und mach dich nützlich. Ich brauche Akten aus Historie/Erbsünden/Budapester_Konsulat/c/2.” Ein leises klicken, gefolgt von einem Surren brach die unmenschliche stille des Roboters. ‘Es’ drehte sich zu Seite und stakste davon. 3E blickte ihm einen Moment nach um sicher zu gehen, das er nicht wiederkam. Schnell schlug er seine graue Akten Mappe auf und blätterte durch die Papiere. Der technische Bericht fiel ihm wieder in die Hand. Er schnappte sich einen Marker, es war nur noch dieses blasse beige übrig, irgendwer musste ihm sein schönes orange geklaut haben. Er warf einen zornigen Blick um sich, wendete sich aber schnellstmöglich wieder dem Bericht zu. Oktal-Adressen… unterstreichen. Dermal-Daten… anmarkern. Er arbeitete sich in einer fachmännischen Geschwindigkeit durch die Textwüste. Eine der Fähigkeiten vor denen Anfänger in diesem Job vor Neid erblassen.
3E hatte schon lange genug mit diesen komplizierten und detailreichen Papierbögen zu tun um sie in sekundenschnelle zu scannen und wichtige Daten zu finden. Einer der Gründe warum er vor ca. 3 Monaten zu ‘Informations-Gewinnung’ befördert wurde.
Er legte das Blatt, welches er in der Hand hielt, auf die rechte Seite der Mappe. Er mochte es strukturiert zu arbeiten. Er nahm das nächste Blatt. Ein Dienst-Roboter samt seines Menschen schritt vorüber. Sie gingen so schnell das 3E aus Reflex sein Papier festhielt, damit es nicht wegfliegt. ‘Unaufmerksames Pack..’ dachte er sich. Er spürte einen kleinen Stich im Finger seiner linken Hand. ‘Am Papier geschnitten, alles nur wegen euch….’ moserte 3E weiter, doch im Nu war sein Kopf schon weiter mit Daten scannen und unterstreichen beschäftigt.
“Ich muss sie einfach finden…” murmelte er. “Ich habe sie gefunden. Bitte sehr.”, eine blecherne, etwas weiblich anmutende Stimme, quakte ihm von hinten ins Ohr. Er drehte sich ruckartig um. Vor Ihm stand 4Æ und hielt eine Aktenmappe vor sich in den Händen. “Akte: Historie/Erbsünden/Budapester_Konsulat/c/2. Bitte beachten Sie das die Ausleihzeit ..” “Ja ja schon gut, gib her jetzt!”, grunzte 3E ungeduldig und riss 4Æ die Mappe aus der Hand. Er warf sie auf den Tisch zu den anderen Unterlagen.
4Æ , ungerührt wie immer, wankte wieder an die Ecke des Schreibtisches wo es auch sonst zu stehen pflegte. Es legte wieder diese undurchsichtige Pose ein, womit 3E sich eindeutig nicht wohl fühlte. Gut das er schon fertig mit seiner eigenen Mappe war.
Auf dem Weg nach draußen stieß 3E fast eine Vase mit Zimmerpflanze um, als er durch den Flur wetzte. Raus zum Haupteingang, runter die Treppe, schnell zur Bushaltestelle. Er sah sich hektisch um. Er hoffte sie zu erblicken. Aber er sah sie nicht. Er keuchte von seinem Sprint.
Es war vor ca. 2 Wochen gewesen, da hatte er sie hier das erste Mal gesehen. Eine Frau mit wunderschönen schwarzen Haaren. Helle Haut und einen stechenden, aber tiefen und irgendwie auch warmen Blick. Er war sich noch nicht mal sicher was er von ihr wollte, aber er musste einfach mit ihr sprechen!
Jemand stieß ihn in den Rücken. “Hee, können sie nicht aufpassen.!”, 3E wirbelte rum, schon mächtig verstimmt. Doch da stand nur 4Æ . ‘Sie’ musste ihm gefolgt sein. “4Æ … Was willst du denn schon wieder. Ich habe Feierabend verdammt nochmal.” Er runzelte die Stirn und probierte aus dieser ausdruckslosen schwarzen Glasscheibe, die ein Gesicht ersetzen sollte, etwas zu lesen. Vergeblich. Wie immer.
“Bao Szenzamon vom Informationsdienst für öffentliche Angelegenheiten möchte sie morgen um neun Uhr in seinem Büro sehen.” 4Æ verschränkte die Arme vor sich, in einer weise wie es im alten China gemacht wurde um Respekt zu zeigen. Wer auch immer diese blöden Gesten einprogrammiert hat, hatte wohl zu viel Zeit, dachte 3E sich bevor er antwortete. “Und um mir das zu sagen, bist du jetzt den ganzen Weg hierher gewatschelt?!” Er starrte das weibliche aussehende Roboter-Ding an. “Ja”, antwortete es. Er seufzte. “Haa… Ja ich werde da sein. Und jetzt mach auch Feierabend. Ab zurück an deinen Platz.” Er machte eine fahrige Geste, als wolle er den Dienst-Roboter damit wegwischen. Es passierte nichts. Das Ding stand einfach da ohne sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
3E wunderte sich. Er tippte den Roboter an. “Erde an 4Æ ? Jemand da?” Immernoch nichts. Er ging einmal um den Dienst-Roboter rum. Im Wind flatterte ein Zettel auf dem Rücken des mechanischen Körpers. ‘Tritt mich’, stand auf dem Zettel. Eine impulsive Wut erfasste ihn, als er den Zettel abriss. Er mochte seinen Dienst-Roboter zwar nicht unbedingt, aber er mochte es noch weniger wenn sich jemand an seinem Eigentum vergriff. Auf einmal drehte sich 4Æ abrupt um. 3E stand wie angewurzelt da, mit hochgezogenen Brauen. Der Dienst-Roboter schaute in eine paar Richtungen und ging dann weg.
“Was ne lahme Blechbüchse…” Er wollte einfach nur noch nach Hause.
Mugdarinen Kompressen. Ein ganzer Haufen. 3E kickte die Box aus dem Weg. Sie flog auf die Straße, direkt vor ein Auto. Es gab eine laute Vollbremsung mit quitschenden Reifen, das dumpfe Zerfetzen von Karton. 3E duckte sich schnell hinter eins der Autos die am Straßenrand parkten und lief gebückt in eine Seitengasse. Hinter sich hörte er lautes fluchen, Menschen Stimmen, Leute die sich das Ereignis ansahen. Er war schon außer Sichtweite und bog schnell in die nächste Biegung ab.
Er trat der heruntergekommen Holztür entgegen und fummelte umständlich seinen Schlüssel aus der Hosentasche. Mit einem Schritt nahm er die drei kleinen Stufen zum Eingang und ließ den Schlüssel elegant ins Schloss gleiten. Er stieß die Tür mit einem Fuß auf und holte nebenbei noch eine Zeitung aus dem Briefkasten, von der er wusste das sie direkt im Müll landen würde. Er drehte sich um und ging durch die Tür. Nur um sich plötzlich vor dem ausdruckslosen Gesicht von 4Æ wiederzufinden.
Mit einem spitzen Schrei sprang er zurück und stolperte. Er fiel die drei Stufen hinunter und landete Unsanft auf den Steinplatten. Sein Gesicht lieg rot an. Wut und Verwirrung, welche ihn nur noch wütender machte. “4Æ! WIE KOMMST DU IN MEIN HAUS?!”, schrie er. Er setzte sich auf und schaute Richtung Tür. Das Ding fixierte ihn, sagte aber nichts.
Er klopfte sich den Dreck von der Hose und seinem Oberteil. Er stieß die Tür weiter auf und schob den Roboter aus dem Weg. Nachdem er die Tür zugetreten hatte stemmte er seine Hände in die Hüften. “Wie kommst du in mein Haus? Hm? Bist du auf einmal stumm? Dir ist schon klar das du hier gerade ein Verbrechen begehst?”
“Nein. Das ist keine Verbrechen. Bestrafungen aufgrund betreten fremder Gebäude gelten nur für Menschen.”, antwortete die Blechbüchse. Viel zu monoton für seinen Geschmack. 3E kochte. Er atmete tief durch. Es regte ihn auf von einem Roboter über Recht und Unrecht belehrt zu werden, aber auf eine Diskussion nach Gesetzestext hatte er nun wirklich keine Lust.
“Meinetwegen..”, er atmete ein weiteres mal tief ein. “Dann sag mir wenigstens.. WARUM bist du hier?”. Er presste die Worte langsam heraus, stets bemüht sich etwas zu beruhigen. Es klappte nicht ganz.
4Æ ließ ein leises knacken vernehmen, es schien aus dem inneren heraus zu kommen. “Ich habe eine dringende Nachricht. Die Verabredung für morgen um 9 Uhr mit Bao Szenzamon wurde abgesagt.” Stille.
Er blickte das Gerät vor ihm ungläubig an. “Und? Kommt da noch was?”, hakte er nach. Er bekam die Antwort. “Nein.” klick.
Die Stille legte sich erdrückend auf den Raum. 4Æ, die nur beim sprechen oder gehen lebendig wirkte, stand wieder einfach nur da. Als wäre sie Raumdeko von irgendeinem durchgeknallten Künstler mit schrägem Sinn für Humor. Zum ersten Mal schaute er sich den Roboter richtig an. Er hatte bisher nie die Ruhe oder das Interesse gefunden das zu tun. Sie trug ein sehr kurzes schwarzes Kleid, was am Oberkörper aber mehr an ein Hemd erinnerte. Ein breiter schwarze Gürtel schmiegte sich um die Taille. Er hatte keine Funktion, war wohl ‘modisch’. 3E hatte keine Ahnung von solchen Dingen. Wollte er auch nicht.
Zu seiner eigenen Verwunderung musste er anerkennen, das dieses Roboter-Gestell nicht so hässlich war, wie er es manchmal empfand. Rein nüchtern betrachtet hatte dieses Gestell alles was für einen Durchschnittsmenschen als attraktiv gelten könnte. Abgesehen von der glasigen Mattscheibe als Gesicht-Ersatz. Es fühlte sich so an als würde er gerade zu einem Durchschnittsmenschen mutieren, als er sich die langen Beine anschaute.
“Ist was?”, schnarrte es plötzlich aus 4Æ. Er bekam fast einen Herzinfarkt, als er aus seinen Gedanken gerissen wurde. Das war nicht sein gesündester Tag bisher. “N-Nein! Ähm…”, er dachte nach. Was sollte er jetzt mit diesem Ding machen? Es zurück zum Arbeitsplatz schicken? Er würde es nur zu gerne tun, aber es schwelte das schlechte Gefühl in ihm auf es alleine auf den Weg zu schicken.
Eine Idee schoss ihm durch den Kopf. “Ich will das du meine Akten sortierst.”, er wartete gespannt was passieren würde.
“Das kann ich nicht tun. In dem Verhaltenskodex für Dienst-Roboter steht ausdrücklich das keine Hilfe bei privaten Angelegenheiten des Mitarbeiters gewährleistet werden darf.”, es schien ihm in die Augen zu schauen.
“Na dann sieh es mal so: Wenn du mir als Angestellten hilfst, verbessert sich dadurch meine Leistung auf der Arbeit. Also hat der Betrieb auch was davon, stimmts?” er musste grinsen. Das Gefühl kurz vor dem Sieg zu stehen machte sich bemerkbar.
“Nein. Es ist unklar ob sich durch Mithilfe in Privat-Angelegenheiten die Leistung des Angestellten verbessert.”, die Mattscheibe fokussierte ihn weiter.
3E seufzte frustriert. Eine neue Idee schoss ihm durch den Kopf. “4Æ, ich möchte dir ein Prinzip erklären. Meine Arbeit innerhalb der Abteilung bezieht sich nicht auf einen festen Standort. Es ist egal wo ich bin, aber das Sortieren von Akten und sonstigen Tätigkeiten steht in Verbindung mit derselben Arbeit die ich im Bürogebäude leiste. Das heißt: Wenn ich dich um das sortieren von Akten bitte, ist das ein Arbeitsauftrag, auch im Sinne vom Betrieb.”
4Æ antwortete nicht. Leise mechanische Geräusche kamen aus ihrem Innern, wie kleine Zahnräder die ineinandergriffen. Nach einer weiteren langen Sekunde drehte sich 3E weg und ging in die Küche. Es war frustrierend. Er schnappte sich eine Dose Schnacks-Mit-Knacks aus dem Kühlschrank und goss sich die kalte Limo in die Futterluke. Der Name kam nicht von ungefähr. Das Zeug war so kalt das es sich anfühlte als würde seine Speiseröhre durchbrechen und knacken wenn er sich weiter bewegte. Es ging das Gerücht um, das wirklich schon manchen die Speiseröhre ‘durchgeknackst’ sei.
“Verstanden. Ich werde mich an die Arbeit machen. Wo sind die Akten?”, plärrte es flach aus dem Eingangsbereich. Seine Brauen hochziehend schaute er Richtung Dienst-Roboter. Seine Argumentation schien Früchte zu tragen. Er schluckte den Kloß, oder eher Eisball, hinunter und ging wieder Richtung Eingangsbereich. Er legte seinen Kopf schief. “Na dann komm mal mit.”, er forderte den Roboter mit seinem Finger auf ihm zu folgen und ging die Treppe hinauf.
Er öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer. Die Sonne schien auf seinen Schreibtisch, welcher mit Stapeln an Papier übersät war. Einige schon etwas vergilbt, andere so frisch wie direkt aus der Druckerpresse geklaut. Die Tischplatte aus rötlich braunem Hartholz war kaum noch zu sehen. Nur an manchen Stellen blickte sie unpoliert in den Raum.
“Hier. Bitte ordne die Unterlagen, nach Projekt und innerhalb eines Projektes, sortiere die Unterlagen nach Datum.” 4Æ ging dicht an ihm vorbei durch den Türrahmen. Er beschloss sie sich selbst zu überlassen. Er war einfach schon zu lange auf den Beinen, also warf er sich im Erdgeschoss auf die Couch und ließ sich in einen Traum fallen.
Anmerkung: Die Geschichte entstand November 2023. Vielleicht habe ich in der Zeit Neuromancer oder so gelesen. Zusätzlich haben wieder ein Bild und ein paar interessante Gebäude die Idee zu der Geschichte angestoßen. Rückwirkend betrachtet hat die Geschichte auch noch einen völlig anderen Ton. Gut. Der ist unter anderem dem Setting und der Handlung geschuldet. Aber auch hier ist es noch sehr beschreibend.
Schreibe einen Kommentar