Der weiße Kristall

Auch schon im letzten Sommer fand die Suche statt. Eine ausgedehnte Suche in den weiten Wüsten Nevadas. Ein kleiner Busch taumelte im heißen Staubwind vor Henrys Füßen vorbei. ‚Tumbleweed, nennen sie die Dinger hier.‘ Er streifte weiter. Links und Rechts von ihm streiften hunderte anderer Männer durch den trockenen, orange-stichigen Sand. Er war vor ein paar Tagen hier eingetroffen und übernachtete seitdem in einem billigen Motel, mitten an der 86 im Nirgendwo. Für etwas besseres war keine Notwendigkeit gewesen. Sein Boss wollte nur Ergebnisse. Die Konzerne drehten sich wie verrückt im Kreis. Alle wollten sie nur das eine. Salpeter. Das Wettrennen ins Weltall war in vollem Schwung, die Kriege gegen kleine Länder unter vollem Dampf. Aber alles würde ins stocken geraten, würden sie nichts mehr von dieser kleinen Nitratverbindung finden. Henry kannte sich nicht mit der Wissenschaft dahinter aus, und er wollte es auch nicht. Er machte nur seinen Job. Er zog sich den Schal etwas höher um sein Gesicht vor Sand zu schützen. All den Männern um ihn herum, von allen möglichen Firmen und Konzernen, ging es ähnlich wie ihm. Angeheuert von ihren Bossen, abgespeist mit verspottenendem Lohn. Nur suchte er nicht nach dem weißen Zeug worauf die anderen aus waren. Er achtete angestrengt auf alles in seinem Blickfeld. Sofern kein anderer reagierte, würde er sich die Stelle merken. Er wusste was passieren würde, wenn er bei einem Fund laut aufschreien würde. Nur die Neulinge machten das. Und sie lernten sofort eine wichtige Lektion. Die Allianz galt nur, solange alle am Suchen waren. Wurde etwas gefunden, kamen die wahren Gesichter zutage. Erbitterte Revierkämpfe. Toben, nur um ein Stück des Fundes abzubekommen. Es gab die Idioten die ihren Fund laut herausschrien und naiv genug waren, zu denken andere würden sich für sie freuen. Es gab jene rotköpfigen, hechelnden Übereifrigen die sich Blut leckend sofort auf alles warfen was ähnlich aussah wie das gesuchte Salpeter. Es gab diejenigen die sich heimlich, während die anderen rauften, sich das in die Tasche steckten was sie brauchten. Die klassischen Dritten sozusagen. Und es gab Leute wie Henry. Sein Interesse galt den anderen.

Er erreichte das Ende der Steppe. Ab hier wurde es steinig und die Felsen fingen an aus dem Boden zu steigen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Aber er zog sich seine Jacke nicht aus. Die Sonne war schon am Untergehen und es würde bald kalt werden. Jemand rempelte ihn an. „Die da oben könnten sich ruhig selbst mal die Mühe machen! So ein Dreck, uns hier schuften zu lassen und Staub zu lutschen während die da oben hübsch ihre Raketen bauen oder!?“ Der Mann hatte einen Puter-Roten Kopf unter seinem Hut. Er schnaufte und keuchte beim gehen. „Was fällt denen ein sich so über uns zu stellen? …“ Es kamen immer mehr Worte aus seinem Mund die alle immer und immer wieder dasselbe sagten. Henry blendete es aus und ging den weg zurück. Ein paar Männer blieben zurück, saßen auf dem Boden um sich auszuruhen. Nicht sein Geschmack. Der Mann neben ihm wollte einfach keine Ruhe geben. Henry schüttelte den Kopf. Der Mann war so sehr damit beschäftigt alles auf andere zu schieben das er selber nicht sah, das er genauso handeln würde, wenn er an der Stelle von ‚denen da oben‘ wäre. Das würde er nicht erkennen. „Wie heißt du?“, warf Henry mitten in sein Geplapper hinein. Der Typ stolperte beinahe über seinen Satz und blickte ihn verdutzt an. „Jack.“ „Für wen arbeitest du Jack?“ „Bingston Living Oil.“, Jack runzelte die Stirn und zog die Brauen zusammen. Henry gab sich überrascht. „Bingston Oil? Was will ein Öl-Konzern mit Salpeter? Baut ihr zufällig noch Raketentreibstoff oder Schwarzpulver?“ Jack lachte zum ersten Mal. „Potzblitz… natürlich nicht.“ Er sah auf einmal fast ein bisschen stolz aus. „Hör mal, man kann Salpeter auch für andere Sachen benutzen.“ Es klang verschwörerisch. „Für was zum Beispiel?“ Jack schaute ihn abschätzend an. „Warum willst du das wissen? Wie heißt du überhaupt?“ „Ich heiße Henry“, er streckte die Hand aus. „Henry also.“ Er schüttelte Henry fest die Hand. „Und für wen arbeitest du Henry?“ „Einen Privatkonzern.“ „Geht’s noch ein bisschen undurchsichtiger?“, musterte er Herny erst. „Der Konzern heißt ‚Charlston Ltd.‘. Meistens kennt den niemand deshalb spreche ich den Namen gar nicht erst aus.“ „Ah, na so. Bist wohl so ein wortkarger hm? Aber das ist nicht schlimm. Was hälst du davon noch ein Bier zu trinken? Unweit von wo wir die Autos geparkt haben gibt’s ein Motel, da kann man um die Zeit noch was zu beißen kriegen.“ „Klingt gut, ich muss eh da hin.“ „Wieso das denn?“ „Mein Bett schläft da.“ „In dieser Bruchbude? Junge, ich weiß nicht was dein Konzern für ein komischer Verein ist, aber wenn du in so einer Bruchbude übernachten musst will ich nicht für die arbeiten…“ Jack schüttelte den Kopf während sie weiter stapften. Er gehörte wohl zu der Sorte von Leuten die Mehr Geschichte über einen erzählen können, als man ihnen erzählt hat. Da erfährt man Sachen die man selbst nicht wusste.

Jack stapfte voraus und schwang die Tür des billigen Motel Diners auf. „Nabend, Bier und was zu essen für mich und meinen Freund hier.“, schallte seine kratzige Stimme. Henry klopfte sich den Staub vom Hut und setzte sich an einen Platz. Er nahm die Untersetzer und stellte Jack und sich einen hin. Jack nahm das wohl als freundschaftliche Geste auf. Lächelnd und mit einer lauten Geräuschkulisse setzte er sich hin. „Danke mein Freund. Ahhh, da geht’s einem doch gut. Gibt nichts besseres als nach einem harten Tag ein verdientes Bier, stimmts?“ Triumph strahlte aus seinen Augen. Henry lächelte und stimmte zu. Innerlich analysierte er Jack weiter. ‚Einer der Typen die die ganze Zeit meckern, aber die ihre Meinung schneller ändern können als ein Blitz wenn ihnen etwas in den Kragen passt. Wird wohl ewig ausgenutzt werden.‘ „Absolut Jack. Vor allem wenn dann noch was vernünftiges zu beißen dabei ist.“ Die Kellnerin stellte die Teller ab. Er lächelte sie an und erhielt ein schüchternes Lächeln zurück. Jack schaute der Kellnerin hinterher, bevor er sich wieder Herny widmete. Sie prosteten sich zu und ließen sich am Essen für die Anstrengungen des Tages aus. „Also… Jack. Wofür braucht ein Öl-Konzern denn jetzt Salpeter?“ Jack lachte und kaute noch auf einer Kartoffel rum. „HA, das interessiert dich wohl mächtig, wie? Man kann Salpeter nicht nur für explosive Sachen benutzen.“ Er spülte die Kartoffel mit einen Schluck Bier runter. „Wir nutzen das zum Reinigen. Ich bin ein ehrbarer Mann, hörst du? Ich würde doch nicht so ein Zeug sammeln gehen, wenn damit Krieg gespielt wird!“ Jack lief wieder rot an. ‚Doch würdest du, wenn man dich bauchpinselt und den richtigen Betrag auf den Tisch legt‘, dachte sich Henry. „Ich habe mich gleich gefragt warum jemand wie du mit an so einer Suche teilnimmst. Du sahst mir nicht nach einem dieser Kriegsunterstützer aus.“ „Du hast ein scharfes Auge Henry, das muss ich dir lassen. Ja das ist so: Durch einen Zwischfall in einem unsere Labore oder so fanden die Leute wohl raus, das Salpeter sich wunderbar dazu nutzen lässt Kalkablagerungen zu entfernen.“ Henry hob die Brauen. „Tatsächlich? Das hab ich noch nie gehört.“, er nippte an seinem Bier. „Natürlich nicht“, grinste Jack. „Die halten das ja auch brav geheim. Das ist ein völlig neuer Verkaufszweig der sich da öffnet verstehst du? Warum rausposaunen?“, er zwinkerte. „Das klingt so als hättest du mir das überhaupt nicht erzählen dürfen.“, neckte Henry. „Ach was. Du tust ja keiner Fliege was zur Leide. Bist halt einfach einer von diesen Geheimnistuern. Wahrscheinlich weil du nicht so ein spannendes Leben hast wie ich. Deine Firma lässt dich sogar in dieser Bruchbude hier schlafen… Nene, das ist schon in Ordnung.“, Jack schaute in sein Bier als ob dort eine tiefere Wahrheit verborgen wäre. „Naja, wie auch immer. Ich muss jetzt los. Sonst wird meine Frau wieder zu Furie.“ „Wieder?“, grinste Henry. „Erinner‘ mich bloß nicht dran.“ Jack macht eine wegwerfende Handbewegung, klopfte ihm auf die Schulter und stapfte davon. ‚Aha, zahlen lässt er also mich.‘, Henrys Blick viel auf die Teller. Aber er könnte nicht zufriedener sein. Seine Arbeit hatte sich mal wieder ausgezahlt. Er war nicht umsonst der erste den sein Chef ins Feld schickte. Er zahlte und ging raus. An dem schäbigen Münztelefon im Hof wählte er die Nummer seines Chefs. Es tutete in der Leitung. „Ja?“, meldete sich die andere Seite. „Hallo, hier ist Henry.“ „Ah Henry, Sie sind es! Und wie siehts aus?“ „Gut Sir. Wir haben einen Firmennamen und einen Verwendungszweck.“ „Gute Arbeit Henry. Kommen Sie so schnell wie möglich in mein Büro damit wir alles weitere besprechen können. Ich wusste ich konnte mich auf sie verlassen!“ „Danke Sir, ich werde morgen Nachmittag bei Ihnen sein.“ „Wunderbar, bis dahin.“ Aufgelegt. ‚Natürlich wusste er wie es ausgeht, wenn ich was gutes zu berichten habe…‘, er ließ seinen Blick über die Wüste schweifen, bevor hoch ins Bett ging.


Hintergrund:

Die Geschichte entstand auch aus einem privaten Wettbewerb heraus. Dieses Mal waren die Vorgaben, maximal 1500 Wörter zu benutzen. Ich merkte bei der letzten Geschichte (Die fünf Explosionen), das mir bei 1000 Wörtern ein Puffer gefehlt hat, um mehr Atmosphäre auszudrücken. Deshalb erhöhte ich im Regelwerk das Limit. Die andere Vorgabe war es eine Geschichte passend zu der Überschrift „Der weiße Kristall“ zu verfassen. Also mussten jeder Teilnehmer dieselbe Überschrift haben und etwas, welches thematisch damit zusammenpasst. War bewusst weiter gewählt um herauszufinden in welche Richtungen die Geschichten sich entwickeln.

Die Geschichte schrieb ich am: 22. Februar 2025

Die final überarbeitete Version: 18. März 2025

1490 Wörter


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..